Runara trat auf Mira zu und umarmte sie fest. Einen Moment lang schien die Kälte aus den Augen der Elfin zu weichen, doch ihre Haltung blieb angespannt. Brondal Kier beobachtete die Szene mit emotionsloser Miene. Belmont, von Ehrfurcht ergriffen, sank auf ein Knie, als Runara an ihm vorbeiging. „Was ist mit Goldmann?“ fragte er leise. Doch Runara wusste es nicht. Sein Schicksal war ungewiss.
Der Rat entschied, die Helden ziehen zu lassen. Doch Sinatah spürte eine unterschwellige Wahrheit in Kiers Freude – etwas, das er verbarg. Belmont rief seine göttliche Macht an, doch sein Divine Sense wurde um Kier herumgeleitet, als würde eine unsichtbare Mauer die dunkle Präsenz verbergen. Mit einem Versprechen für ein abendliches Treffen mit Runara verließen die Helden den Ratsraum.
Während die Stadt langsam zum Leben erwachte, erinnerte sich Alvar an seinen Deal mit der Wache. Er trennte sich von der Gruppe und eilte zum Stadttor. Dort forderte er, mit der Wache zu sprechen, die das Eintrittsregister führte. Anstatt der vereinbarten fünf Goldmünzen reichte er zwanzig – und bat darum, ein Pergament mit einer Taube nach Leilon zu Jona Eichblatt zu schicken. Die Wache, zunächst verdutzt, steckte das Gold ein und versprach, sich darum zu kümmern.
Gemeinsam traf die Gruppe vor Kjell’s Kitchen ein. Als Alvar die Tür öffnete, traf ihn ein überwältigendes Gefühl von Nostalgie. Das Holz, die Anordnung der Möbel – alles erinnerte ihn an seine Heimatstadt Clork. Selbst die Bedienung bestand ausschließlich aus Halblingen. Doch für die Elfen war dies ein exotisches Speiselokal – ein Ort, um die würzigen Gerichte von Clork kennenzulernen.
Korlean wartete bereits auf sie, doch Runara war nicht erschienen – sie ruhte noch. Alvar bestellte sechs Winzlinge – kleine, hochprozentige Getränke. Als die Helden anstießen, blieb nur Belmont unbeeindruckt, während sich der Rest mit brennenden Kehlen abmühte. Alvar konnte nicht genug bekommen und entdeckte schließlich einen Zapfhahn, aus dem Kjell Ale floss.
Auf jedem Tisch dampfte frisch gebackenes Brot, serviert mit geschmolzenem Käse und würzigen Dips. Die Tagesempfehlung: Zwergenbällchen, wurde von allen gefeiert. Belmont und Alvar wählten den geheimnisvollen Eisenfisch, ein Gericht, das angeblich „vergessen“ worden war.
Sinatah stellte Alvar der Bedienung vor. Die Halblingsfrau war verwirrt – und verließ dann eilig den Tisch. Alvar sprach über seinen Vater, während Belmont versuchte, herauszufinden, ob dieser vielleicht noch in Fandalar war. Doch die Bedienung erzählte, dass der Gründer der Gaststätte längst nach Irileth zurückgekehrt war.
Die Trauer über die verlorene Spur wurde von den reichen Speisen kurzzeitig verdrängt. Doch dann folgte eine unausgesprochene Herausforderung. Belmont warf Moronur einen prüfenden Blick zu – eine stumme Einladung zum Wetttrinken. Mit einem entschlossenen Nicken nahm Moronur an. Diesmal sollte es anders laufen. Erneut hoben sie die Krüge. Diesmal trank Belmont mit beeindruckender Schnelligkeit – und triumphierte. Die Niederlage des letzten Mal war vergessen.
Korlean beobachtete das Schauspiel. Das Misstrauen, das er anfangs gegenüber der Gruppe gehegt hatte, begann langsam zu schwinden. Als sie das Gasthaus verließen, war es Alvar, der wehmütig zurückblickte. Korlean hatte für die Helden Zimmer im Gasthaus zur Nachteule reserviert, direkt in der Nähe der beiden Türme. Doch Sinatah hatte andere Pläne. Sie führte die Gruppe in eine Bar, in der ein seltsamer, treibender Rhythmus durch die Luft vibrierte.
Mittelalterlicher Techno.
Vier Feuchte Efeu später war die Stimmung ausgelassen. Als sie schließlich die Nachteule betraten, hielt Belmont kurz inne. Erinnerungen überfluteten ihn – Goldmann, sein Verschwinden, die Verantwortung, die auf seinen Schultern lastete. Ein leises, nagendes Schuldgefühl ergriff ihn. Doch die Nacht verstrich. Und der Morgen kam.
Der neue Tag wirkte beinahe surreal. Die warme Frühlingsluft, die Fandalar umgab, stand in starkem Kontrast zum drohenden Winter in Regusanien. Gemeinsam mit Runara verließen sie die Stadt. Sie hatte bereits erfahren, welchen Ort der Atlas zeigte. Vor den Toren Fandalars breitete sie ihre Flügel aus und transformierte sich in ihre gewaltige Drachenform. Moronur durfte diesmal oben auf ihr reisen – eine Ehre, die er mit fester Entschlossenheit annahm.
Der Flug nach Norden verging rasch. Unter ihnen breitete sich das endlose Blätterdach des Dschungels aus. Dann – eine neue Resonanz. Der Atlas pulsierte in Sinatahs Tasche. Sinatah schloss die Augen und ließ sich leiten. Es war nicht ihre eigene Hand, die ihren Weg bestimmte – es war das Wesen, das durch den Atlas zu ihr sprach. Schließlich erreichten sie ihr Ziel: Alte Ruinen, verborgen im Herzen des Waldes.
Doch etwas war hier wach.
Plötzlich begann auch Sinatahs Buch zu pulsieren. Ein Beben lief durch ihre Finger, als sie es aufschlug. Und dann – brachen die Ranken aus dem Boden. Dicke, lebendige Schlingen schossen aus der Erde hervor und umschlangen ihre Beine. Auch Belmont und die anderen wurden von der Natur selbst in die Tiefe gezogen. Nur Moronur und Alvar konnten entkommen, doch sie sahen, wie sich die Ranken immer fester um ihre Gefährten legten.
Moronur riss seine Axt hervor und befreite Belmont mit einem wuchtigen Hieb. Doch in diesem Moment las Sinatah etwas im Buch. Ihr Gesicht erbleichte. Sie erstarrte. Dann hob sie langsam den Blick.
Und als sie sich umdrehte, war sie nicht mehr sie selbst.