Episode 52 Der Rat von Fandalar

In der Dunkelheit des Raumes standen sich Moronur und Sinatah gegenüber. Die Spannung zwischen ihnen war greifbar, als Moronur ihr Interesse an dem Mal an ihrer Hand hinterfragte. Zögernd, aber entschlossen, enthüllte Sinatah ein weiteres Fragment ihrer Vergangenheit.

Sie streifte ihren Handschuh ab – und offenbarte den Kristall an ihrer Hand. Das schwache Licht brach sich in den tiefen Facetten des Steins, während Moronur fassungslos auf das Artefakt starrte. Er hob seine Hand und berührte vorsichtig den Kristall – und damit auch ihre Haut. Ein kurzer Moment des Innehaltens, ein Augenblick der Verbindung, so flüchtig wie bedeutungsvoll.

Alvar, stets wachsam, untersuchte die magische Energie des Steins. Doch als sein Blick sich in den Kristall verlor, spürte er mehr als nur Macht – eine unterschwellige Gefahr lauerte darin. Instinktiv zog er seine Hand zurück.

Sinatah sprach schließlich aus, was sie lange für sich behalten hatte: Valarian war ebenfalls in jener magischen Ebene gewesen. Doch selbst jetzt fiel es ihr schwer, die letzten Geheimnisse preiszugeben.

Plötzlich hallten Rufe von draußen wider. Belmonts Blick wanderte zum Ausgang – eine militärische Formation wurde errichtet. Noch bevor sie reagieren konnten, erschallte eine klare Stimme, die sie aufforderte, hinauszutreten.

Alvar ging voran, gefolgt von den anderen. Vor ihnen standen vierzig schwer gepanzerte Stadtwachen, ihre Hellebarden aufrecht, ihre Gesichter starr. Korlean Weißfeld war ebenfalls anwesend, doch er vermied es, die Gruppe anzusehen.

Dann trat eine Elfin aus den Reihen hervor. Ihre Haltung war angespannt, ihre Augen voller Wut. „Diebe!“, zischte sie und wandte sich an Korlean. „Was habt ihr vor?“

Mira. Valarians Tochter.

Doch Korlean widersprach ihr. Trotz ihrer Wut nannte er die Helden die beste Chance, ihren Vater zu finden. Die Wachen blieben kampfbereit, doch auf Korleans Befehl hin ließen sie die Gruppe vorerst gewähren.

Sinatah gab schließlich zu, dass sie den Atlas besaßen und sprach von der unerklärlichen Anziehung der Artefakte. Doch Korlean blieb unbeeindruckt.

Dann fiel ein mächtiger Name: Der Rat.

Vier große Familien bildeten die oberste Instanz in Fandalar:

Die Sturmreifs, deren Stimme derzeit Mira vertrat, wenn auch widerwillig.
Korlean Weißfeld, der Repräsentant der Bibliothekare und Wissensträger.
Brondal Kier, über dessen Rolle noch Unklarheit herrschte.
Luna Mandrill, eine rätselhafte Mantisform.
Der Weg führte sie vorbei an Kjell’s Kitchen, wo das Leben weiterging, als wäre nichts geschehen. Moronur fühlte sich unter den Blicken der Bürger unwohl – sein Erbe als Halb-Ork machte ihn zum Mittelpunkt der Aufmerksamkeit.

Besonders eine alte Halblingsdame beobachtete ihn genau. Ihr Blick wanderte von seinem Gesicht zu seinem neuen Ring. Herausfordernd ließ Moronur den Ring funkeln, doch ihr Missfallen war deutlich.

Sinatahs Augen hingegen richteten sich auf die Zwillingstürme. Der eine war mit einem gläsernen Ausbau versehen – und dort oben standen zwei Gestalten, die auf sie hinabblickten.

Korlean sprach mit gedämpfter Stimme: Mira habe ihren Vater geliebt, doch der Verlust ihrer Mutter habe sie verändert.

Schließlich erreichten sie den Eingang zum Ratsgebäude, bewacht von zwei massiven Loxodon-Wachen. Moronur, mit einem Hauch von Schelmerei, flüsterte eine Vermutung über Korleans weit geschnittenes Gewand – und sorgte für ein kurzes Aufblitzen von Belustigung in der angespannten Atmosphäre.

Korlean bat die Gruppe zu warten und versprach, sie zu schützen.

Alvar, getrieben von Neugier, fragte eine Wache nach den Problemen der Menschen in Kongdonien. Die Wache konterte mit einer eigenen Frage: „Und was bedrückt euch?“

Währenddessen ersann Belmont eine Ablenkung. Er griff Moronur an – doch der Halb-Ork war schneller. Mit einer geschickten Bewegung verpasste er Belmont eine trockene Rückhand. Alvar mischte sich ein und versetzte ebenfalls einen Schlag.

Doch in Wahrheit war das alles nur ein Vorwand: Während das Gerangel für Aufmerksamkeit sorgte, schnappte sich Sinatah mit ihrer magischen Hand ein Pergament, das von einer kleinen Kinderhand unter eine Sitzbank gelegt worden war.

Schließlich kehrte Korlean zurück und führte die Gruppe zum Transportmittel des Rats: Zwei magische Röhren, die sie in die oberen Ebenen des Turms brachten.

In einem runden Warteraum, nur von kleinen Fenstern erhellt, wurde Korleans Interesse am Atlas offensichtlich. Doch als Sinatah ihm das Artefakt reichte, sah er nichts als einen gewöhnlichen Stein. Der Atlas offenbarte sich nur den Auserwählten.

Sinatah erinnerte sich: Das markierte Gebiet auf dem Atlas war nahe ihrer Heimat. Sie kannte die Ruinen, die dort seit Jahrhunderten lagen. Der Bau der Brücke nach Regusanien, die Expansion von Mardunien – alles ergab plötzlich Sinn.

Ihre Erinnerungen führten sie zurück in die Zeit, als sie durch die Wälder streifte und immer wieder auf fremde Menschen traf. Damals verstand sie nicht, warum. Jetzt jedoch wurde das Bild klarer.

Plötzlich flatterte ein Pergament durch den Raum – die Vorladung des Rats war da.

Die Röhren führten sie hinauf in den gläsernen Saal, wo die Ratsmitglieder warteten. Mira war noch immer aufgebracht, doch Alvar konfrontierte sie direkt. Der Dolch, den sie besaß, war nicht für sie bestimmt.

Sinatah betonte, dass Valarian selbst von den Artefakten gesprochen hatte. Belmont bohrte nach – warum hatte Valarian nie von ihr erzählt?

Korlean versuchte zu beschwichtigen, erzählte vom Atlas und dessen Bedeutung.

Dann erhob Brondal seine Stimme.

„Die Artefakte waren viel zu lange ungenutzt. Vielleicht ist es Schicksal, dass sie euch gefunden haben.“

Und schließlich manifestierte sich eine weitere Gestalt im Raum. Eine Erscheinung, die Macht und Weisheit ausstrahlte.

Runara.

Mit ruhiger Stimme sprach sie:

„Euer Weg ist noch nicht zu Ende. Doch eure Rolle ist bedeutender, als ihr ahnt.“